Welche Zeiten im Leben eines Paars besonders kritisch sind
Was erwartet Paare konkret, die sich in eine Beratung begeben? Wie lässt es sich in modernen Zeiten glücklich leben und lieben – und was heißt Liebe überhaupt? Zu diesen Themen befragte mich mein Würzburger Freund und Kollege Dr. Thomas Hilsenbeck in einem kollegialen Interview. Wir haben uns gegenseitig Fragen gestellt, so dass ihr das Parallelinterview bei ihm lesen könnt.
Dies hier sind die ersten Fragen, in den kommenden Tagen veröffentliche ich nacheinander weitere Fragen und Antworten.
Wer ergreift aus Deiner Erfahrung heraus eher die Initiative? Wer macht eher den ersten Schritt, wenn es um Paartherapie geht? Frauen oder Männer?
Meiner Erfahrung nach sind eher Frauen die treibende Kraft, die hinter einer Paarberatung oder Paartherapie stehen. Selbst wenn im Erstkontakt – per Mail oder per Telefon – der Mann nach einem Termin für ein Vorgespräch fragt, war häufig doch seine Frau diejenige, die im Vorfeld für die nötige Dringlichkeit gesorgt hat.
Gibt es aus Deiner Sicht besonders schwierige Zeiten in einer Beziehung, Zeiten, in denen viele Beziehungen auseinander gehen?
Ja, die gibt es. Ich sehe drei neuralgische Zeitpunkte. Alle drei sind Zeiten des Übergangs.
Kritisch ist es, wenn Kinder kommen, wenn also aus einem Paar eine Familie wird – das wäre der erste neuralgische Punkt, den ich nennen möchte. Offen spürbar wird das vielleicht nicht gleich in den ersten Lebensjahren des Kindes. Dennoch werden in dieser Zeit Weichen für die Zukunft der Beziehung gestellt. Kinder absorbieren eine Menge Zeit und Kraft. So kommt es, dass das Paar auf einmal sehr viel weniger Zeit füreinander und für die Beziehungspflege hat. Hinzu kommt, dass in sehr vielen Fällen einer der Eltern seinen Job ganz oder teilweise aufgibt. In der Regel ist es die Frau, die der Familie ihre Karriere opfert. Dadurch wird sie vom Mann wirtschaftlich abhängig, was die Machtbalance gefährdet. Durch die Rollenverteilung kann es auch zu einem Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen kommen. Solche Konfliktpotenziale sind nicht zu unterschätzen!
Der zweite neuralgische Punkt ist jene Zeit, in der die Kinder in die Pubertät kommen und aus dem Haus streben. Oft werden Kinder zum verbindenden Kitt einer Beziehung. Nun bröselt der Kitt und das Paar fragt sich: Was können wir noch miteinander anfangen? Wie gut kennen wir uns noch? Diese Zeit geht einher mit den Jahren einer midlife crises, in der viele Menschen unzufrieden mit ihrem bisherigen Leben sind und etwas verändern wollen.
Und der dritte Punkt?
Der hat gar nichts mit äußeren Umständen wie der Familiengründung zu tun, sondern ist abhängig von der inneren Beziehungsdynamik. Eine Beziehung ist ja nicht statisch, sondern sie lebt, und durchläuft bestimmte Stadien. Ganz grob kann man von drei Phasen sprechen: Zu Beginn, wir nennen sie die Verliebtheitsphase, schießen die Hormone über und man sieht seinen Partner durch eine rosarote Brille. In dieser Phase überwiegen die Gemeinsamkeiten. Doch das geht freilich nicht immer so weiter, denn dieses erste Verliebtsein ist ein Ausnahmezustand. So folgt die zweite Phase, in der Unterschiede in den Fokus der Aufmerksamkeit treten. Man beginnt, seinen Partner als denjenigen zu sehen, der er nun einmal ist: Ein anderer Mensch mit individuellen Eigenheiten, vielleicht auch Verschrobenheiten; mit Verhaltensweisen und Ansichten, die einem selbst überhaupt nicht passen. In dieser notwendigen Differenzierungsphase rücke ich selbst wieder in den Blickpunkt: Statt eines „Wir“ kommt nun wieder das „Ich“. Wird diese Phase gut gemeistert, folgt eine Phase der neuen Verbindlichkeit.
Der große Knackpunkt ist der Übergang in die zweite Phase. Hier scheitern viele Beziehungen, was schade ist, denn erst in dieser Phase beginnt die eigentliche Beziehung: Wie wollen wir uns aufeinander beziehen? Welche Spielregeln sollen für uns gelten? Wie wollen wir Zwei es miteinander aushalten? Ein solcher Bezug kann nur zwischen Individuen passieren, die ihre Grenzen kennen. Ich erinnere an die alte Gestalt-Idee: Kontakt entsteht an Grenzen. In der ersten Phase gibt es kaum Grenzen, da gibt es nur ein ineinander verschlungenes Wir. Übrigens enden viele Liebesgeschichten und Hollywood-Filme mit der ersten Phase. Man kann also sagen, Liebesgeschichten mit einem Happy End sind noch gar nicht zu Ende erzählt.
Zum zweiten Teil:
Dabei geht’s um Gutes für die Beziehung und die Vier Apokalyptischen Reiter