Dies ist der zweite Teil eines kollegialen Interviews über Paartherapie. Lesen Sie zunächst den ersten Teil.
Gehen Paare heute mit Ihren Beziehungen anders um als früher? Was ist anders als beispielsweise noch vor 40 oder 50 Jahren?
Ich glaube, es gibt da ganz fundamentale Veränderungen! Die wichtigste: Trennung und Scheidung ist heute sehr viel leichter und gesellschaftlich auch nicht mehr sanktioniert. Früher musste man als Paar zusammenbleiben, heute ist es eine freie Entscheidung. Hinzu kommt, dass einst fest zementierte Rollen zerbröseln. Wie war es früher? Ich sag’s mal ganz simpel und holzschnittartig: Der Mann hat das Geld heimgebracht und hat gesagt, wo’s langgeht. Die Frau blieb daheim, hat sich um die Kinder und den Haushalt gekümmert und ansonsten das getan, was ihr Mann gesagt hat. Übrigens durften bis weit in die 70er-Jahre hinein verheiratete Frauen nur mit Zustimmung ihres Ehemanns arbeiten gehen!
Heute dagegen haben wir sehr viel Wahlfreiheit. Was natürlich schön und erstrebenswert ist, andererseits aber auch fürchterlich anstrengend. Denn wir können nicht einfach mehr auf altbekannte Baupläne zurückgreifen, sondern müssen uns selbst unser Lebensglück zurechtbasteln. Und das bedeutet: Weil jeder mitredet, muss in Beziehungen viel ausgehandelt werden. Übrigens wollen sowohl Frauen als auch Männer diese alten Rollenmuster durchbrechen. Häufig erleben sie aber, dass ihr Umfeld noch sehr viel starrer ist als erwartet. Ein Beispiel: Wenn in vielen Unternehmen Erziehungsurlaub noch immer gleichzusetzen ist mit Karriereknick, wird ein veraltetes Rollenbild in eine Familie hineingetragen, die eigentlich schon weiter ist. Dann macht der Vater eben doch einen Hundert-Prozent-Job und die Mutter wird Hausfrau, was für beide wenig befriedigend ist.
Es wird immer wieder gesagt, Frauen tun sich beim Reden über Gefühle leichter. Zieht in einer Therapie der Mann nicht automatisch den Kürzeren, wenn er es nicht versteht, auf diese Weise über sich zu sprechen?
Nein, das glaube ich nicht. Mir scheint zwar auch, dass für viele Männer das Sprechen über ihre Gefühle unbekanntes oder zumindest ungewohntes Terrain ist, auf dem sie sich nicht so sicher fühlen und auf dem sie leicht in eine defensive Haltung ihren Frauen gegenüber rutschen. Sie glauben dann häufig, sie können dort nicht mithalten. Sie werden unsicher und machen zu; gehen also innerlich aus der Beziehung oder werden betont nüchtern. Was schade ist, denn in diesem Bereich können Männer sehr viel über sich lernen.
Denn das Sprechen über die eigenen Gefühle hat ja nichts mit Gefühlsduselei zu tun, mit weichgespültem Vokabular im Sinne von „Gut, dass wir darüber reden“. Nein. Sich über seine Gefühle bewusst zu sein, ist die Grundvoraussetzung dafür, authentisch in der Welt stehen zu können; nachzuspüren und zu merken: „Hey, ich habe einen richtigen Zorn!“ kann per se schon mal heilsam sein.
Viele Männer haben also Nachholbedarf, aber sie ziehen nur dann den Kürzeren, wenn sie keine Lust haben, sich zu entwickeln. Und dazu ist eine Paartherapie ja vor allem da: weiterzukommen, zu lernen. Und noch etwas ist wichtig: Auch wenn Männer eher auf der Sachebene in Kontakt treten, Frauen eher auf der emotionalen, ist das eine ja nicht mehr wert als das andere. Beides ist wichtig. Und beide Partner können dabei voneinander lernen.
Was bringt aus Deiner Sicht eine Beziehung zum Ersterben?
Es gibt einige Zutaten, die in das Rezept „gute Beziehung“ hineingehören: John Gottman, ein US-amerikanische Psychologe, spricht von den vier apokalyptischen Reitern in Beziehungen. Kommen die vor, dann dauert es zur Trennung nicht mehr lange, sagt er. Diese vier Reiter sind erstens Kritik, die an der ganzen Person, an der Persönlichkeit des Partners geübt wird, zweitens verachtende Sprache und Gesten, drittens Rechtfertigungen in Streitereien und viertens das berühmte Mauern, also das sich kommentarlos aus dem Kontakt herausziehen. Und der Paarberater Hans Jellouschek legt großes Augenmerk auf gute Kommunikation und die Balancen in der Beziehung beispielsweise bei den Themen Macht oder Bindung.
Für mich gehört noch etwas viel Wichtigeres, Grundlegendes, dazu: Respekt. Fehlt der, bekommt die Beziehung einen Knacks. Ich glaube, wir müssen uns in Sachen Liebe zwei Dinge vor Augen halten: Einerseits ist Liebe eine Gnade, die einem widerfährt – so formuliert es der Religionsphilosoph Martin Buber. Ich verstehe darunter: Ich kann mir Liebe nur wünschen, ich kann ihr freilich den Boden immer und immer wieder bereiten. Aber ich kann sie nicht herstellen oder erzwingen. Andererseits ist Liebe für mich auch eine Entscheidung. Ich entscheide mich für einen anderen Menschen; auch das immer und immer wieder. Wenn ich diese beiden Dinge vergesse, dann vergesse ich vielleicht auch den Respekt für den Anderen. Denn der ist ja freiwillig bei mir, er kann jederzeit gehen.