Immer wieder kommen Paare zu mir, die sich aus den Augen verloren haben. Beide Partner halten an der Beziehung fest. Sie haben keine großen Streits, es gibt keine unüberbrückbaren Gräben. Und doch scheinen sie auf unterschiedlichen Inseln zu leben ohne eine Brücke zueinander zu finden.

Diese Paare funktionieren im Alltag gut, sie ziehen Kinder liebevoll groß, haben einen regen Freundeskreis, laden Nachbarn zur Party ein. Und es fehlt ihnen etwas Essentielles; sie sind nicht glücklich und kommen nicht so richtig zusammen.

Wenn ich nachhake und tiefer bohre, stellen wir häufig fest, dass sie nur noch wenig im Kontakt miteinander sind. Sie fühlen sich vom anderen nicht umfänglich wahrgenommen, nicht so ganz beachtet, nicht so richtig verstanden. Sie sind nicht richtig verbunden, nicht richtig in Kontakt mit dem anderen.

An einem Punkt in ihrer Beziehungsbiografie scheinen ihre Wege auseinandergedriftet zu sein. Ähnlich der Kontinentalverschiebung, die passiert und von der wir (außer durch Erdbeben) nichts mitbekommen. Was könnte der Auslöser fürs Auseinanderdriften von Paaren sein?

Der Philosoph Wilhelm Schmid beschreibt in seinem Buch Die Liebe neu erfinden drei Ebenen der Liebe:

  1. Die körperliche Ebene der Berührung, Zärtlichkeit und Lust (Liebe machen)
  2. Die seelische Ebene der starken Gefühle, der Zusammengehörigkeit (Liebe fühlen)
  3. Die geistige Ebene der Kommunikation, des gedanklichen Austausches (Liebe denken)

Wenn ich von diesen Ebenen spreche, sehe ich Spielfelder vor mir, auf denen jeweils unterschiedliche Regeln gelten, und auf denen sich die Partner begegnen können. Nun hat jeder Mensch sein ihm ganz besonders vertrautes Feld: Auf ihm fühlt er sich wohl, da kennt er sich aus, dort fällt es ihm ganz besonders leicht, in Kontakt mit anderen zu gehen. Wenn sein Partner sich jedoch auf einem anderen Spielfeld tummelt, können sie sich zwar bei ihren einsamen Spielen zuschauen, sie schaffen es aber nicht, gemeinsam zu spielen.

Ich möchte diese Idee an einem konkreten Beispiel verdeutlichen:
Vor mir sitzen Dietmar und Gisela. Dietmar mag den geistigen Austausch, Philosophieren über das Leben, diskutieren über Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, reden über persönliche Projekte, seine Zweifel und Wünsche. Findet er ein Gegenüber, das mit ihm schwingt, scheint die Zeit für ihn still zu stehen. Er erlebt Glück, er fühlt sich lebendig und geht ganz im Hier und Jetzt auf. Und wenn er mit seiner Frau so zusammen ist, empfindet er eine starke Liebe zu ihr.

Diese Momente sind jedoch rar. Denn Gisela ist ganz anders. Sie mag diese Gespräche nicht besonders, ihr fällt in diesen Situationen nur wenig ein, der Austausch von Argumenten, das gegenseitige Befruchten beim Philosophieren über das Leben als Ganzes langweilt sie oft. Dennoch liebt sie ihren Mann. Sie mag es, wenn sie gemeinsam bei Freunden oder im Kino sind, er mit den Kindern spielt, oder im Garten werkelt. Sie genießt es, gemeinsam aufzuwachen, gemeinsam den Tag zu verbringen und zu wissen: Dieser Mensch gehört zu ihr und sie gehört zu ihm. Und gemeinsam leben sie das Projekt Familie.

Beide spielen sie in der Liebe auf unterschiedlichen Spielfeldern. Er auf dem Feld der Kommunikation, des geistigen Austausches; sie auf dem seelischen Feld des Fühlens der Zusammengehörigkeit. Während sie diese Liebe häufig fühlt, spürt er zunehmend, dass ihm etwas wichtiges fehlt. Weil er in Gesprächen nur selten den von ihm so sehr benötigten Gleichklang findet, fällt es ihm schwerer, sich ihr ganz nah zu fühlen. Und so entsteht ein Riss, der größer wird und das Paar auseinander driften lässt.

Was können Dietmar und Gisela tun?

Erst einmal können sie diese unterschiedlichen Vorlieben erkennen, sie nicht bewerten, dem anderen keinen Strick daraus drehen. Sondern sie erst einmal sein lassen. Damit ist schon viel geholfen. Und sie können lernen, die Spielregeln des anderen zu lernen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Damit kämen sie zu dem, was Wilhelm Schmid das Atmen der Liebe nennt: Können wir uns auf einer Ebene als Paar nicht begegnen, dann vielleicht auf einer anderen. Du bist nicht zum Reden aufgelegt? Okay, wie wäre es mit Kuscheln oder Sex? Das auch nicht? Dann lass uns einen DVD-Abend machen. Und schön wäre es, suchten sie sich gemeinsame Spielfelder.

Doch was macht Dietmar mit seiner Sehnsucht nach Gleichklang? Er sucht ihn außerhalb der Beziehung, findet Freunde, die ähnlich sind, und kann so Gisela entlasten. Dann muss sie nicht für die Befriedigung seines Bedürfnises verantwortlich sein.

So ergeben sich für sie neue Handlungsmöglichkeiten. Beide kommen mehr auf ihre Kosten und können sich wieder einander zuwenden.