Teil 4 einer Serie über Paartherapie

Paartherapie ist ein sensibler Prozess, der darauf abzielt, Konfliktdynamiken zu verstehen, Kommunikationsmuster zu verbessern und die Verbindung zwischen den Partnern zu stärken. Dabei spielt die Neutralität des Therapeuten eine zentrale Rolle. Doch was bedeutet Neutralität in der Paartherapie, und warum ist sie so wichtig?

Meine Aufgabe als Therapeut: Kein Richter, sondern Vermittler

In meiner Rolle als Paartherapeut sehe ich mich nicht als Richter, der Schuldfragen klärt, Partei ergreift oder sagt, wie es richtig geht. Meine Aufgabe besteht vielmehr darin, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem beide Partner ihre Perspektiven äußern können. Neutralität bedeutet für mich, beiden Seiten gleichermaßen zuzuhören, ohne zu bewerten. Und aus meiner langjährigen Praxis weiß ich: Bei so gut wie allen Paaren, mit denen ich gearbeitet habe, konnte ich mich in beide Partner hineinversetzen, konnte die Not, die Sorgen oder den Ärger nachspüren und konnte innere psychische Mechanismen erfassen. Durch diese neutrale Haltung entsteht ein Gleichgewicht, das Vertrauen fördert und die Grundlage für offene Gespräche schafft.

Denn Schuldzuweisungen oder einseitige Urteile würden den therapeutischen Prozess empfindlich stören, wenn nicht sogar blockieren. Sie könnten dazu führen, dass sich einer der Partner ungerecht behandelt oder missverstanden fühlt. Mir geht es stattdessen darum, die Dynamiken der Beziehung zu beleuchten und herauszufinden, wie beide Partner zu ihrer Verbesserung beitragen können.

Wie entstehen Beziehungskonflikte?

Um die Bedeutung der Neutralität zu verstehen, kann es hilfreich sein, die Entstehung von Beziehungskonflikten zu betrachten. Besonders die Konzepte der Zirkularität und der Interpunktion spielen dabei eine wichtige Rolle.

Zirkularität: Die gegenseitige Beeinflussung

Konflikte in Beziehungen entstehen selten durch das Verhalten nur eines Partners. Stattdessen wirken sie zirkulär: Jeder Partner reagiert auf das Verhalten des anderen, was wiederum das Verhalten des ersten beeinflusst. Zum Beispiel zieht sich eine Person zurückziehen, weil sie sich kritisiert fühlt. Diesen Rückzug nimmt der andere wahr und empfindet ihn als mangelndes Engagement für sich und die Beziehung. Die Folge: Er ist gekränkt und zieht sich noch ein wenig mehr zurück. So entsteht eine Spirale, die sich immer weiter verstärkt – ein Teufelskreis.

In der Therapie nur geht es darum, solche Kreisläufe zu erkennen und zu durchbrechen. Meine Neutralität hilft dabei, den Fokus nicht auf Schuld, sondern auf das Verstehen dieser Dynamik zu legen.

Interpunktion: Unterschiedliche Sichtweisen

Ein weiteres wichtiges Konzept meine Arbeit ist die so genannte Interpunktion. Sie beschreibt, wie jeder Partner bestimmte Ereignisse in der Beziehung unterschiedlich interpretiert und diesen eine andere Bedeutung beimisst. Konflikte entstehen oft, weil beide Partner glauben, im Recht zu sein, und die eigene Sichtweise für die einzig richtige halten. Zum Beispiel sagt ein Partner: „Ich bin distanziert, weil du mich kritisierst.“ Der andere erwidert: „Ich kritisiere dich, weil du so distanziert bist.“ Wann begann diese Spirale?

Meine Aufgabe als Therapeut ist es, das Paar dabei zu unterstützten, diese unterschiedlichen Perspektiven offenzulegen. Und zu entdecken, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Stattdessen sind beide Sichtweisen gültig und Ausdruck individueller Erfahrungen. Dieser Ansatz hilft, gegenseitiges Verständnis zu fördern.

Und wann ich gerade nicht neutral bin

Ich bin zwar – was das Verständnis und die Wertschätzung angeht – den Partnern gegenüber neutral. Doch ich bin nicht neutral der Beziehung gegenüber. Sie steht für mich im Fokus (und mit Beziehung meine ich nicht in erster Linie die Liebesbeziehung oder die Ehe der Partner, sondern deren Umgang miteinander!). Für sie setze ich mich mit meinem ganzen Engagement ein. Neutralität bedeutet für mich also nicht, passiv zu sein. Als Therapeut leite ich den Prozess aktiv, stelle Fragen, gebe Anregungen und biete die Leitplanken für die Arbeit. Damit helfe ich den Partnern, ihre Kommunikationsmuster zu reflektieren und neue, konstruktive Wege zu finden, miteinander umzugehen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Wenn ein Partner sagt, dass er sich unverstanden fühlt, während der andere erwidert, dass er sich selbst nicht gehört fühlt, leite ich die Aufmerksamkeit darauf, wie beide sich gegenseitig beeinflussen. Anstatt die Schuldfrage zu klären, ermutige ich sie dazu, die eigenen Bedürfnisse und Gefühle offen auszudrücken und dem Partner zuzuhören.

Die Chance auf neue Wege

Die Neutralität in der Paartherapie schafft einen Raum, in dem beide Partner sich gesehen und gehört fühlen. Das allein kann bereits eine heilende Wirkung haben. Durch die Arbeit an zirkulären Prozessen und die Offenlegung der unterschiedlichen Interpunktionsmuster können Paare lernen, ihre Konflikte besser zu verstehen und neue Wege im Umgang miteinander zu finden.

Das Ziel ist nicht, Schuldige zu suchen, sondern Veränderungen zu ermöglichen. Denn erst, wenn beide Partner die Dynamiken ihrer Beziehung erkennen und verstehen, können sie aktiv daran arbeiten, diese zu verbessern. Neutralität ist der Schlüssel, der diesen Prozess öffnet und Paare dazu befähigt, ihre Beziehung auf eine neue, wertschätzende Grundlage zu stellen.

Zum ersten Teil der Serie: Wie läuft eine Paartherapie ab? Einblicke in meine Arbeitsweise