Teil 3 einer Serie über Paartherapie
Paartherapie verfolgt einen einzigartigen Ansatz, der sich von der Einzeltherapie grundlegend unterscheidet. Während bei der Einzeltherapie die individuelle Perspektive des Klienten im Vordergrund steht, konzentriert sich die Paartherapie auf die Dynamik zwischen den Partnern. Man könnte sagen: Der Klient in einer Paartherapie ist die Beziehung. Diese Fokussierung bringt zahlreiche Vorteile mit sich, die gerade in Krisensituationen entscheidend sein können.
Beziehungsprobleme haben ihren Ursprung selten nur in einer einzelnen Person. Vielmehr entstehen sie in der Interaktion, also im Zusammenspiel der Partner. Ein gemeinsamer therapeutischer Ansatz ermöglicht es, diese Interaktionen direkt zu beobachten und zu analysieren. Durch die Arbeit mit beiden Partnern kann sichtbar werden, wie Missverständnisse, Konflikte oder Verletzungen entstehen und sich im Laufe der Zeit verstärken.
Die zirkuläre Dynamik des gemeinsamen Lebens
So gesehen sind Beziehungs-Probleme Ausdruck der Dynamik, die im gemeinsamen Alltag entstanden ist. Diese Dynamik umfasst unbewusste Rollenverteilungen, Kommunikationsmuster und Erwartungen, die sich über die Zeit verfestigt haben und sich gegenseitig verstärken. Man spricht dabei von zirkulären Prozessen. Ein Beispiel: Einer der Partner zieht sich emotional zurück, weil er sich unverstanden fühlt, was den anderen wiederum dazu veranlasst, sich noch mehr um Aufmerksamkeit zu bemühen – was den Rückzug weiter verstärkt.
In der Paartherapie betrachten wir Beziehungsprobleme aus dieser „zirkulären Perspektive“ und kehren den hinlänglich bekannten Schuldzuweisungen den Rücken. Damit schaffen wir eine offene und wertschätzende Atmosphäre, die es beiden Partnern ermöglicht, ihre Perspektiven darzulegen, ohne sich rechtfertigen zu müssen. So entwickeln sie ein tieferes Verständnis füreinander und können sich diese alten Muster von außen – wie aus einer Adler-Perspektive – anschauen und neue, positive Dynamiken entstehen lassen.
Wann kann Einzelarbeit sinnvoll sein?
Obwohl die Arbeit mit beiden Partnern gemeinsam im Mittelpunkt steht, erscheint es in manchen Situationen auch sinnvoll, wenn ich mit den Partnern einzeln arbeite. Für mich ist dies kein Muss (bei einem Großteil der Paare bleibt es beim Dreier-Setting), ich schließe eine solche Arbeit auch nicht aus. In jedem Fall besprechen wir es zu dritt, ob sich eine individuelle Therapie lohnen kann und ob sie möglich ist: Denn sie beinhaltet durchaus Fallstricke, die es zuvor und auch parallel im Laufe der Zeit zu beobachten und anzusprechen gilt:
- Für den Partner, mit dem ich arbeite: Er könnte sich leicht in die Ecke gestellt fühlen, sich also als Verursacher des Problems fühlen
- Für den anderen Partner, der von einen Teil des Prozesses ausgeschlossen ist (denn für mich gilt auch in einem solchen Setting natürlich das Gebot der Verschwiegenheit) und für den Dreier-Kontext anschließend nicht mehr das nötige Vertrauen aufbringen kann
- Und schließlich für mich. Ich muss mir darüber klar sein, dass ich beide therapeutischen Prozesse klar unterscheiden und trennen kann.
Solche parallelen Einzelarbeiten müssen natürlich nicht mit mir stattfinden. Vielmehr können die Klienten auch Kolleg*innen konsultieren. Wann nun kann eine solche Einzelarbeit angebracht sein? Ich möchte vier Situationen ansprechen:
- Mitunter zeigen sich im Laufe der Beratung bei einem der Partner individuelle Themen wie beispielsweise zurückliegende traumatische Erlebnisse oder tieferliegende persönliche Unsicherheiten. Solche Themen lassen sich einem individuelleren, noch geschützteren Rahmen leichter ansprechen.
- Eine weitere Situation wäre ein Ungleichgewicht in der Motivation: Wenn einer der Partner also weniger motiviert für die Therapie ist. In einer oder zwei Einzelsitzungen könnten seine Motivlage und seine Situation angeschaut und reflektiert werden.
- Ungleichgewichte in der Reflexionsfähigkeit sind für mich ebenfalls ein starkes Argument für die zusätzliche Einzel-Arbeit. Was meine ich damit: Ich erlebe immer wieder Paare, in denen einer der Partner bereits über viele Jahre hinweg in Therapie oder in Selbsterfahrung geübt ist, und der andere nicht. Häufig sind es die Frauen, denen es sehr viel leichter fällt über sich selbst, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu reden und die passenden Worte zu finden, während viele Männer eher stumm leiden und wenig Zugang zu ihrem inneren Erlebenskosmos haben. In solchen Fällen erleichtert und beschleunigt es den gemeinsamen Prozess enorm, wenn beide Partner gleichermaßen „sprechfähig“ und reflektiert sind.
- Und schließlich bietet es sich vor allem bei hochstrittigen Paaren an, wenigstens zu Beginn parallel auch einzeln mit beiden Partnern zu arbeiten. Häufig hat sich bei beiden so viel Groll angesammelt, so viel Unverständnis und so viele Kränkungen, dass eine gemeinsame Arbeit kaum möglich ist. Im Einzelsetting lassen sich besonders neuralgische Themen besser ansprechen und, platt gesprochen, Dampf aus dem Kessel nehmen.
Zusammenfassend liegt also der große Vorteil der Paartherapie in der gemeinsamen Arbeit an den Dynamiken, die Ihre Beziehung prägen. Sie lernen, sich gegenseitig besser zu verstehen, und entwickeln Werkzeuge, um Konflikte konstruktiv zu lösen. Gleichzeitig können gezielte Einzelsitzungen den Prozess ergänzen und vertiefen, sodass Sie sowohl als Paar als auch als Individuen wachsen können. Diese Flexibilität macht die Paartherapie zu einem effektiven Ansatz, um Beziehungskrisen nachhaltig zu bewältigen.
Zum ersten Teil der Serie: Wie läuft eine Paartherapie ab? Einblicke in meine Arbeitsweise