Teil 2 einer Serie über Paartherapie
Im Laufe der vergangenen vielen Jahre habe ich immer wieder festgestellt, dass vielen Menschen die Entscheidung zum Beginn einer Paartherapie nicht leichtfällt. Viele Paare stehen vor Hemmschwellen, Ängsten und Unsicherheiten, die sie daran hindern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit ist klar, dass Interessierte, mit denen ich telefoniere oder maile, in der Regel schon sehr viel Mut aufgebracht haben. Ich weiß aber auch, dass sie von diesem Schritt und den vielfältigen Chancen, die eine Paartherapie oder Paarberatung bietet, stark profitieren können. Im folgenden möchte ich einige Hemmschwellen ansprechen, die ich im Laufe der Zeit erfahren habe. Und Ihnen damit signalisieren, dass Sie mit Ihrem Zögern nicht allein sind.
Mögliche Ängste und Risiken
Angst vor unangenehmen Wahrheiten
Eine Paartherapie bedeutet, sich ehrlich mit sich selbst und dem Partner auseinanderzusetzen. Wer schaut schon gern in seinen eigenen Seelen-Keller? Viele fürchten, dass dabei schmerzhafte Wahrheiten ans Licht kommen könnten. Beispielsweise eigene Fehler, lang verdrängte Probleme oder Abwertungen des Partners.
Angst vor Veränderungen
Veränderung ist ein zentrales Ziel der Paarberatung, aber sie kann auch beängstigend sein. Viele Paare fragen sich: „Was, wenn die Therapie unsere Beziehung noch mehr belastet?“ oder „Was, wenn wir feststellen, dass wir nicht mehr zusammenpassen?“ Veränderung führt immer in die Unsicherheit, in unbekanntes Terrain. Die Chance dabei ist jedoch, neue Fundamente der Beziehung zu bauen. Und ganz ehrlich: Häufig wird es nicht schlimmer, sondern besser als gedacht.
Angst vor Schuldzuweisungen
Ein weiterer Grund, der Paare von der Therapie abhält, ist die Sorge, dass man selbst als „schuldig“ dargestellt wird, das der Therapeut einem sagt, was man womöglich schon immer falsch gemacht hat. Keine Sorge: Ich bin kein Richter, ein „goldenes Regelbuch“ des guten Verhaltens existiert nicht. Ich interessiere mich viel mehr für die Lösung. Denn ich weiß, dass Streitereien häufig keinen klaren Beginn haben, sondern mitunter schon früh in der Beziehungsbiografie entstanden sind und außerdem nur zirkulär zu begreifen sind.
Unerwartete Konsequenzen
Eine Therapie kann dazu führen, dass Konflikte erst mal eskalieren, weil sie sich bisher nur unterschwellig gezeigt haben und nun erstmals ans Tageslicht gezerrt werden. Ja, das kann schmerzhaft sein. Doch nur, was auch klar sichtbar ist, kann auch angeschaut, besprochen und geklärt werden.
Emotionaler Stress
Die Auseinandersetzung mit tiefgehenden Konflikten und Emotionen kann ganz schön belastend sein. Es erfordert deshalb Durchhaltevermögen und eine gute Rahmung, diese Herausforderungen zu meistern. Paartherapie ist nichts, was zwischendurch passieren kann, vielmehr ist es ein ernsthafter Prozess, bei dem es auch um persönliche Reflexion der Partner geht. Paartherapie ist immer auch ein kleines Stück Einzeltherapie.
Unklare Erwartungen
Manche Paare starten eine Therapie mit unrealistischen Erwartungen, etwa dass die Beziehung sofort „geheilt“ wird und alles wieder glücklich sind. Vor allem bei Konflikten, die schon länger andauern, wäre es fatal, von solchen Spontanheilungen zu träumen.
Mögliche Hemmschwellen, eine Paartherapie zu beginnen
Schamgefühle
Viele Menschen empfinden Scham, wenn sie ihre privaten Probleme mit einer dritten Person teilen sollen. Der Gedanke, über Konflikte, Verletzungen oder intime Themen zu sprechen, kann unangenehm sein. Oft herrscht die Vorstellung, dass Beziehungen „von selbst“ funktionieren sollten und dass es ein Zeichen von Schwäche ist, professionelle Hilfe zu suchen. Dies sind häufig angelernte Muster aus dem Elternhaus. Meine Erfahrung ist, dass Paare, die sich im Laufe der Therapie öffnen, schnell feststellen, dass ihre Probleme gar nicht so einzigartig sind, dass auch andere mit ähnlichen Dingen zu kämpfen haben.
Angst vor dem Urteil anderer
Die Sorge, wie das Umfeld auf die Entscheidung für eine Paartherapie reagieren könnte, ist ebenfalls eine Hemmschwelle. Aussagen wie „Warum braucht ihr denn eine Therapie?“ oder „Geht es bei euch so schlecht?“ verstärken das Gefühl, dass die Beziehung gescheitert ist. Schon seltsam: Mit seinem Auto geht man selbstverständlich in die Werkstatt, wenn etwas klappert. Doch Beziehungsprobleme bleiben unterm Deckel. Und das kann ja auch okay sein. Niemand zwingt sie, anderen Leuten zu sagen, dass Sie bei mir sind! 😉
Zeit- und Kostenfaktoren
Viele Paare empfinden den organisatorischen Aufwand einer Therapie als Hindernis. Der Alltag ist oft bereits mit beruflichen und familiären Verpflichtungen ausgelastet, und eine Therapie scheint zusätzlichen Stress zu verursachen. Auch finanzielle Aspekte können abschreckend wirken. Meine Frage dazu ist immer: Wieviel ist Ihnen Ihre Zufriedenheit und Lebensfreude wert? Und wie teuer wird erst eine Scheidung?
Die Chancen: Warum sich der Mut lohnt
Trotz aller Hemmschwellen, Ängste und Risiken bietet eine Paartherapie große Chancen, die die Beziehung nachhaltig stärken und bereichern können.
Klarheit und Verstehen
In der Paartherapie gewinnen Sie ein tieferes Verständnis füreinander und für die Dynamiken, die Ihre Beziehung prägen. Indem Sie Missverständnisse klären, können Sie Konflikte konstruktiv angehen und Ihre Verbindung auf eine neue Basis stellen.
Verbesserte Kommunikation
Ein zentraler Bestandteil jeder Paartherapie ist die Arbeit an der Kommunikation. Sie lernen, wie Sie Ihre Bedürfnisse und Gefühle besser ausdrücken und wie Sie einander wirklich zuhören können. Diese Fähigkeiten wirken sich nicht nur positiv auf Ihre Beziehung, sondern auch auf andere Lebensbereiche aus.
Wachstum und Entwicklung
Eine Paartherapie bietet die Möglichkeit, gemeinsam als Paar zu wachsen und gleichzeitig individuell zu reifen. Sie lernen, alte Muster loszulassen und neue, gesunde Verhaltensweisen zu entwickeln.
Wiederentdeckung der Verbundenheit
Viele Paare berichten, dass sie durch die Therapie wieder eine tiefere emotionale Verbindung zueinander finden. Sie erinnern sich daran, warum sie sich ursprünglich ineinander verliebt haben, und entwickeln ein neues Bewusstsein füreinander.
Stärkung des Selbstbewusstseins
Indem Sie sich aktiv mit Ihren Problemen auseinandersetzen, übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Beziehung. Das gibt Ihnen ein Gefühl von Kontrolle und stärkt Ihr Selbstbewusstsein. Denn Paartherapie ist kein Zeichen von Scheitern, sondern ein Ausdruck von Hoffnung und dem Willen, die Beziehung aktiv zu gestalten.
Zum ersten Teil der Serie: Wie läuft eine Paartherapie ab? Einblicke in meine Arbeitsweise