Er stand unter enormem Druck. Obwohl er der erste im Konferenzraum war, rund 10 Minuten vor Beginn des Trainings, schien er nicht gelassen den Tag angehen lassen zu können. Seine Bewegungen waren kraftvoll und etwas eckig, die Schultern hochgezogen, der Brustkorb gespannt, wodurch er eine leicht gebeugte Haltung bekam. Einige Minuten verbrachte er damit, sich den richtigen Platz zu suchen, er legte Stift und Notizblock vor sich, holte sodann das Laptop aus der Tasche, bearbeitete Mails und telefonierte vom Handy aus mit Mitarbeitern, während ich mit den letzen Vorbereitungen für das Anti-Stress-Training beschäftigt war. Sein Ton war dabei gepresst und er schien Dinge bis ins Kleinste hinein besprechen zu müssen.

Er war, das stellte sich im Laufe des Tages heraus, ein penibler Chef, der seinen Mitarbeiter wenig Spielraum für eigene Entscheidungen ließ. Während des Tagestrainings wurde er fast ein Dutzend Mal angerufen, zwei Mal war er für rund eine halbe Stunde auf scheinbar wichtigen Meetings. „Da kommt ein wichtiger Kunde, da muss man dann schon dabei sein“, war seine Entschuldigung. Mein Eindruck wurde durch die Testergebnisse im Laufe des Tages bestätigt: In ihm war der „Sei stark!“-Antreiber extrem ausgeprägt.

Wir im Auto-Pilot

Wenn wir unser alltägliches Verhalten einmal überprüfen, stellen wir fest, dass wir einen guten Teil des Tage in einer Art Autopilot-Modus verbringen: Aufstehen, Zähe putzen, Kaffee trinken, der Weg zur Arbeit – unsere Tage sind voll Routinen, die wir „abarbeiten“ ohne viel darüber nachzudenken. Und das ist gut so, weil energiesparend. Die Energie können wir für Anderes gut brauchen.

Doch solche Gewohnheiten finden wir nicht nur bei alltäglichen Verrichtungen: Wie reagieren wir auf andere, wie handeln wir in bestimmten Situationen und wie sehen wir ganz allgemein die Welt? Hier haben sich im Laufe unseres Lebens bestimmte Muster und Sichtweisen etabliert, die auf subtile, aber grundlegende Weise unser Handeln bestimmen. Man spricht dabei von Inneren Antreibern. Das Gute daran: Die Transaktionsanalytiker – von denen stammt dieses Konzept – haben nur fünf dieser Inneren Antreiber identifiziert: Sei stark! Sei perfekt! Beeil dich! Mach’s allen recht! Streng dich an!

Was sind nun diese Antreiber? Sie sind Verhaltensmuster und Grundüberzeugungen, die sich während der Kindheit etabliert haben als Reaktion auf unsere Umwelt, also vor allem auf unsere Eltern und Geschwister. Für sich genommen hat jeder dieser Antreiber positive Seiten: Natürlich ist es sinnvoll, seine Arbeit perfekt zu erledigen, und schnell, und dabei auch auf die Bedürfnisse anderer zu schauen. Doch die Antreiber machen des Guten zu viel! Sie übertreiben es – und damit engen sie uns ein und setzen uns unter Stress.

Was die Antreiber sagen

Nehmen wir die Antreiber mal beim Wort und hören zu, welche Botschaften sie uns einflüstern.

Sei stark!: Zeige niemandem, wie es in dir aussieht. Beiß die Zähne zusammen. Mach dich aufs Schlimmste gefasst. Behalte vor allem die Kontrolle, denn anderen ist nicht zu trauen.

Sei perfekt!: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn du eine Arbeit beginnst, dann bringe sie auch zu Ende, und zwar richtig und vollumfänglich. Erlaube dir keine Schlamperei und auch keine Nachlässigkeit. 100 Prozent zu geben ist gerade noch so okay, 120 Prozent sind besser. Mach bloß keine Fehler, denn Fehler machen ist das Schlimmste.

Beeil dich!: Du bist zu langsam. Wenn du Dinge tust, mache sie schnell; schneller, denn du bist sowieso zu langsam. Ruh dich nicht aus, bleib in Bewegung.

Mach’s allen recht!: Erfüll die Wünsche anderer, sei freundlich und liebenswürdig, nur so wirst du auch gemocht werden. Wenn du Nein sagst, wird das zu Konflikten und Streit führen und man wird dich nicht mehr mögen. Sei gefällig. Bloß kein Streit!

Streng dich an!: Erfolge müssen hart erarbeitet werden. Wenn dir etwas leicht fällt, ist es nichts wert. Das Leben ist Mühsal und nur die Harten komm’n in’n Garten.

Das hört sich erst mal krass an. Doch geben Sie es zu: Manche Sätze kamen Ihnen bekannt vor, oder? Und zugegebenermaßen habe ich diese Antreiber auch pointiert dargestellt. Nicht bei jeden sind sie extrem ausgebildet, vielmehr muss man sich die Ausprägung nicht nach dem An/Aus-Schema, sondern eher stufenlos vorstellen. Und diese Antreiber haben ja immer auch eine positive Seite. Sollte ich beispielsweise mich mal einer komplizierten und diffizilen OP unterziehen müssen, hätte ich gern einen Operateur, der den „Sei perfekt!“- und nicht den „Beeil dich!“-Antreiber hat.

Licht- und Schattenseiten

In der folgenden Tabelle habe ich die positiven und schwierigen Seiten der Antreiber notiert. Und zwar als Pole, also als extreme Ausprägungen. In der Wirklichkeit sind die meisten irgendwo zwischen diesen Extremen angesiedelt.

positiver Kern
Antreiber
Schattenseite
Einfluss ausüben, Übernahme von Verantwortung, Unabhängigkeit
Sei stark! (Behalte Kontrolle!)
Kontrollierend, rigide, kaum Toleranz für andere Lösungen
Gewissenhaftigkeit, korrekt
Sei perfekt!
Perfekt, bis hin zur Pedanterie
Effizient, schnelle Auffassungsgabe, Chancen werden genutzt
Beeil dich!
Hektik verbreiten, Neigung zu Oberflächlichkeit, andere werden schnell „überfahren“,
Freundlich, teamfähig, für andere da sein, Bedürfnisse anderer erahnen und berücksichtigen
Mach’s allen recht!
Selbstverleugnung, sich aufopfern für andere
Durchhaltevermögen, Ausdauer, Gründlichkeit
Streng dich an!
Überforderung bis zur Selbst-Ausbeutung, eigene Grenzen nicht wahren

Ich finde, dieses Konzept der Inneren Antreiber ist ein schöner Zugang zur eigenen Persönlichkeit; eine Möglichkeit, sich selbst ein bisschen mehr auf die Schliche zu kommen. Und manche Konflikte vielleicht auch besser zu verstehen. Konflikte, die aus unterschiedlichen Antreibern resultieren, wenn beispielsweise ein Chef es mit einem ausgeprägten „Beeil dich!“-Antreiber mit einem Mitarbeiter zu tun hat, der nach einem ausgeprägten „Sei perfekt!“-Antreiber arbeitet.