Thomas und Eva* sind junge Eltern. Ihre jüngste Tochter ist gerade mal zweieinhalb Jahre alt, die ältere ist fast vier. Eva ist wieder in ihren Beruf eingestiegen, Harald arbeitet nur zu 70 Prozent. Beide wollen sich so gleichberechtigt wie möglich um Haushalt, Kinder und Familie kümmern. Sie waren erst kurz zusammen, als Eva schwanger wurde. Beide hatten die Schwangerschaft nicht forciert, hatten aber auch nichts dagegen. Schließlich war die Liebe groß und sie wollten sowieso die Zukunft gemeinsam verbringen.

Nun sitzen sie in meiner Praxis und verstehen die Welt nicht mehr. Sie lieben sich, sie wollen sich, doch der Alltag sorgt zunehmend für Reibereien. Permanent kommen sie sich in die Quere, beim Kochen, in der Urlaubsplanung, bei der Kindererziehung. Letzter Auslöser für die Beratung bei mir war das gemeinsame Renovieren des Kinderzimmers. Was als schöne Idee eines gemeinsamen Wochenendprojekts begann, endete bereits am Samstagabend mit Streit und Tränen.

Wenn Gehirne unterschiedliche Innenarchitekten haben

In der Exploration zeigte sich, dass die Beiden, so sehr sie sich auch mögen, nicht zusammenarbeiten können. Ihr Gehirn scheint einen unterschiedlichen Innenarchitekten zu haben. Für Thomas stand ganz selbstverständlich fest, in welcher Reihenfolge er am besagten Wochenende das Kinderzimmer zuerst ausräumen und dann streichen wollte. Für Eva stand das auch fest, doch wollte sie selbstverständlich die Möbel zuerst von der einen, dann zur anderen Seite räumen. Solche Missverständnisse wiederholten sich selbst bei Kleinigkeiten wie der Frage, wer jetzt wie etwas auseinander schraubt. „Sie macht mich wahnsinnig. Jeden Pups muss man ihr erklären“, ärgert sich Thomas. „Er ist so ungeschickt, das könnte man doch alles viel einfacher machen“, kontert Eva.

Wie schön ist es, wenn es mit einem Menschen „flutscht“, wenn man sich blind versteht und ohne viele Worte Hand in Hand arbeiten und leben kann. Und wie schade, wenn das nicht der Fall ist. Schade, mehr aber auch nicht.

Als „Workaround“ haben wir eine Strategie erarbeitet: Thomas und Eva verteilen sehr klar Aufgaben und Kompetenzen. Wer also hat wann und für was die Kapitänsmütze auf? Das war die Leit-Idee dieser Arbeit. Denn so, wie es auf einem Schiff nur einen Kapitän gibt, kann es sinnvoll sein, im Paar-Alltag auch nur einen bestimmen zu lassen.

Thomas kocht am Abend? Dann hält sich Eva aus der Küche raus. Oder sie hilft, aber nur auf konkrete Anweisung von Thomas. „Eva, kannst du bitte die Zwiebel schneiden?“ – „Klar, wie groß sollen die Stücke denn sein? So?“ – „Nein, etwas kleiner!“ – „Alles klar, dann mache ich sie kleiner.“ Und später: „Und jetzt, was kann ich tun?“ – „Gerade nichts, ich komm hier klar.“ – „Gut, dann trinke ich Wein und erzähl die solange von meinem Tag in der Firma.“

Klar und respektvoll Grenzen ziehen

Die Sache mit der Kapitänsmütze lässt sich in sehr vielen Lebensbereichen einer Familie durchdeklinieren. Hat Anna Stress mit einer ihrer Töchter, hält sich Thomas raus und versucht nicht zu schlichten. Außer, es eskaliert und er merkt, dass Anna an ihre Grenze kommt. Aber auch dann wird Thomas Anna nicht einfach die Kapitänsmütze vom Kopf reißen, indem er ungefragt dazwischen geht oder Anna womöglich vor dem Kind kritisiert. Nein, er wird fragen: „Soll ich übernehmen?“ Wenn Anna das nicht möchte, dann wird sich Thomas zurückziehen.

Anderes Beispiel: Während Anna eine forsche Autofahrerin ist, lässt es Thomas eher bedächtig angehen. Haben es beide also eilig, übernimmt Anna das Steuer, statt auf dem Beifahrersitz wie auf Kohlen zu sitzen und zu nörgeln. Und Thomas wird sich hüten, auf dem Beifahrersitz zu schreckhaft zu sein.

Die Kapitänsmütze ist also ein Sinnbild für selbstverantwortliches Delegieren: Wenn ein Partner dem anderen eine Aufgabe überlässt, darf er ihm gleichzeitig nicht vorschreiben, wie er sie auszuführen hat. Andererseits: Wenn ihm eine bestimmte Art und Weise der Ausführung wichtig ist, muss er es selbst tun.Das Bild der Kapitänsmütze ist für beide eine schöne und humorvolle Möglichkeit, mit Unterschieden im Alltag umzugehen, Grenzen klar zu setzen und Territorien abzustecken. Ist es mühsam, selbst Kleinigkeiten auf diese Weise aushandeln zu müssen? Natürlich ist es das! Doch was ist die Alternative? Für Anna und Thomas bietet diese Art des Umgangs eine gute Möglichkeit, lösbare Probleme einer Partnerschaft zu lösen und damit Streitereien zu vermeiden.

* natürlich sind diese Namen und auch diese Fälle nicht authentisch. Sie sind konstruiert aus mehreren Klienten und Paaren zusammengesetzt. Denn schließlich ist meine Arbeit mit meinen Klienten ein durch Diskretion und Schweigepflicht geschützter Raum.