Meine Frau und ich sind auf dem Weg zu Freunden im Allgäu. Die Autobahn ist nicht mehr ganz so leer, ich fahre flott, denn ich will möglichst viel Zeit mit unseren Freunden verbringen – ein schönes Wochenende liegt vor uns. „Pass auf, da bremsen sie“, ruft meine Frau während sie auf dem Beifahrersitz zusammenzuckt und ihren Fuss zu Boden presst. Ich werde wütend, schlucke meinen Ärger jedoch – noch – hinunter. Na klar habe ich gesehen, dass einige hundert Meter vor mir gebremst wird, denke ich, ich habe doch alles im Griff, was will die denn? Mein Puls steigt. Noch so eine Bemerkung und sie bekommt was zu hören von mir …
Kennen Sie solche Momente? Eine scheinbar kleine Bemerkung unseres Partners genügt, und wir gehen an die Decke. Im Nachhinein fragen wir uns, wie ein solcher Streit aus dem Nichts überhaupt entstehen konnte.
Auslöser solchen Ärgers sind Trigger. In der Psychologie sind sie als Schlüsselreize definiert, die alte Gefühlszustände wieder aufleben lassen. Man könnte auch sagen: Trigger sind ein Widerschein von Verletzungen, die wir sehr viel früher, zumeist in Kindheit oder Jugend, erfahren haben. Diese Begebenheiten liegen zwar schon lange zurück, doch die Verletzung fühlt sich in solchen Momenten ganz frisch und neu an. Und weil nur starke Verletzungen die Zeiten überdauern, nur solche Verletzungen, die wir damals nicht gut für uns verarbeiten konnten, sorgen sie auch heute noch für starke (und ebenfalls alte) Reaktionsmuster.
Das Teuflische daran: Diese Reaktionsmuster laufen blitzschnell ab, weil sie tief in unserem emotionalen System verankert sind. Deshalb gehen wir an die Decke oder brechen in Tränen aus, noch bevor wir die Situation verstandesmäßig erfassen und adäquat darauf reagieren können. Denn in uns ist eben nicht nur der Verstand aktiv, sondern als weitere und sehr viel schnellere Instanz das Emotionale System (genauer beschrieben im Blogpost Wer ist Herr im Oberstübchen?)
Wie funktionieren Trigger?
Um diese Reaktionen zu verstehen, schauen wir uns die vorhin skizzierte Situation nochmal an – und zwar in Super-Zeitlupe: Ich fahre Auto, habe alles im Griff und bin gut drauf. Da erschrickt meine Frau. Was bei ihr während des Beifahrens immer wieder geschieht, häufig verbunden mit der Bitte, nicht so schnell zu fahren. Zusätzlich werden bei mir auch sehr alte Erinnerungen aktiviert, Erinnerungen an meine Kindheit in einer Familie mit einem zwölf Jahre älteren Bruder, der mir – allein wegen des Altersunterschiedes – in allem überlegen war.
Diese Erinnerungen erlebe ich nicht in szenischen Bildern, sondern als Emotion, als Gefühl des kleinen Kindes mit seinen Flausen im Kopf, das man nicht so richtig ernst nahm, das irgendwie nur dummes Zeug redete. Jetzt, in diesem Moment des Autofahren, interpretiere ich das Erschrecken meiner Frau vor dem Hintergrund dieser alten Kindheitserfahrungen – und fühle mich gemaßregelt, korrigiert, kurz: nicht ernst genommen, weil ein Teil meiner Seele zu diesem vier- oder fünfjährigen Jungen von damals wird.
Wohlgemerkt: Dieser Prozess und die damit verbundene Bewertung geschieht in Sekundenbruchteilen und unterhalb meines Bewusstseinsradars. Und wie damals reagiert mein emotionales System: mit Verletzung, Kränkung und heute einer unbeschreiblichen Wut. Denn dieses Gefühl des nicht ernst genommen Werdens hat damals fürchterlich weh getan. Doch als Kind habe ich diese Verletzung nicht gezeigt (vermutlich, weil ich dafür zusätzlich beschämt wurde – da habe ich keine konkrete Erinnerung), sondern habe mit Rückzug reagiert und versucht, den Schmerz nicht zu spüren. Rückzug, weil ich mich nicht getraut hatte, den Ärger auszudrücken.
Doch heute, als erwachsener Mann, erlebe ich diese Wut deutlich, heute kann ich sie auch zeigen – und zeige sie leider dem falschen Adressaten, nämlich meiner Frau.
Wie gesagt: Weil dieser Prozess rasend schnell verläuft, fühlt sich die Situation für mich nach einfacher Reiz-Reaktion an: Meine Frau zweifelt meine Kompetenz als Autofahrer an, ich reagiere verschnupft. Und dazu habe ich doch jedes Recht. Schließlich fahre ich schon so viele Jahre unfallfrei. Mein Ärger ist deshalb doch berechtigt!
Während ich also mit meinem Verstand und meinem Bewusstsein weiter im Hier und Jetzt verankert ist, reagiert ein Teil meines emotionalen Systems auf alte Situationen. Es finden Übertragungen statt. Deshalb darf man mit Fug und Recht fragen: Mit wem streite ich eigentlich, wenn ich streite? Bin ich in obiger Situation wirklich auf meine Frau wütend oder eher auf meine Herkunftsfamilie? Handle ich wirklich der Situation angemessen oder mit alten standardisierten Gefühls- und Handlungsmustern?
Wie erkenne ich, dass ich getriggert bin?
Es gibt zwei wichtige Indizien fürs „getriggert-Sein“. Das erste ist die Verhältnismäßigkeit: Passt die Heftigkeit meiner Reaktion überhaupt zur Situation? Im obigen Beispiel: Muss ich mich wirklich verletzt fühlen oder ärgerlich werden, nur weil meine Frau sich erschrickt?
Das zweite und deutlichere Indiz ist die Unmittelbarkeit meiner emotionale Aktivierung. Siehe auch die 3 Zonen des Emotionales Systems. Wie schnell rutsche ich in den „roten Bereich“ der emotionalen Überforderung ab? In der beschriebenen Situation war ich gut drauf (im „grünen Bereich“) und innerhalb eines Augenblicks wurde ich wütend (rauschte also in den „roten Bereich“). Dieser switch ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, getriggert zu sein.
Beide Indizien werden (zunächst) im Augenblick der Situation nichts nützen, denn die Trigger aktivieren im Gehirn alte, sehr gut ausgebaute neuronale Netze. Unsere Reaktion verläuft also zunächst automatisch. Das war die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Je öfter wir uns dieser Trigger bewusst sind, desto besser wird unsere Achtsamkeit für unsere emotionale Verfassung, umso schneller bemerken wir diesen Trigger.
Was tun, wenn ich getriggert bin?
Die wichtigste Reaktion ist, Verantwortung für mich zu übernehmen. Schließlich gehören meine emotionalen Reaktionen allein mir, niemand anderer muss darunter leiden und niemand anderer ist (zunächst mal) dafür verantwortlich. Deshalb ist erfahrungsgemäß ein geordneter Rückzug das Beste. Geordnet, weil ich diesen Rückzug ankündige, in vertrauensvoller Gesellschaft beispielsweise mit den Worten „Ich merke, dass ich gerade getriggert bin, ich brauche mal kurz Ruhe und komme wieder zu dir.“ Ich gebe also eine Wasserstandsmeldung über mein Befinden, übernehme Eigenverantwortung für mein Gefühl und kündige an, wieder zurückzukehren. Am besten verlasse ich dann auch den Raum (was im Auto natürlich schlecht möglich ist, sonst schon) und ressourciere mich.
Und diese Ressourcen sollte ich kennen: Bei mir sind es Bewegung (tanzen, joggen, schütteln), lockere Kontakte (einen Freund treffen, ins Lieblingscafé sitzen und Small-talk halten) und manchmal auch Stille und Einsamkeit.
Gerade in Partnerschaften (sie sind wahre Triggermaschinen!) ist es sinnvoll, über diese Trigger zu sprechen. Nicht, solange ich im „roten Bereich“ bin! Aber in einer stillen Stunde sich mitteilen, die Erinnerungen teilen und sich so in einem geschützten Raum diesen alten Erfahrungen und den damit verbundenen Emotionen zu nähern.
Meiner Erfahrung nach sind es sehr häufig Kränkungen und Verletzungen, die diesen Triggern zugrunde liegen. Gespräche in vertrauensvoller Partnerschaft können diese alten Wunden dann heilen. Mit dem Effekt, dass die Trigger ihren Widerhaken verlieren.
In meinem Fall kann ich mittlerweile (meistens) locker auf die Ängstlichkeit meiner Frau reagieren und freue mich über mein geliebtes Frühwarnsystem auf dem Beifahrersitz. Und: Ich bekomme Mitgefühl für ihre Situation und fahre deshalb gern defensiv und langsamer. Schließlich möchte ich sie nicht in die unangenehme Situation bringen, sich erschrecken zu müssen.
Ein toller Beitrag der mich in meiner jetzigen Situation bestärkt, immer mehr bewusst auf meine trigger zu achten und sie wahrzunehmen. Allerdings ist es für mich unmöglich, mich aus der Situation zu entfernen, die mich gerade triggert. Ich möchte dann alles besprechen und das hilft mir auch, denn ich bin zwar im roten Bereich, allerdings vollkommen bewusst. Das macht es leicht für mich dahinter zu kommen, welche Gefühle ausgelöst werden und den trigger zu verstehen.
Danke für den Beitrag- sehr wertvoll
Liebe Wibke,
vielen Dank für dein Feedback!
herzliche Grüße
Ralf