Wir alle kennen solche Momente, in denen wir ganz bei uns sind, ganz im Einklang mit der Welt. Solche Momente passieren uns beim Musizieren oder Tanzen, bei einem gemeinsamen Abend mit Freunden, im Sport, und der Meditation oder beim Sex. In solchen Momenten scheint die Zeit keine Rolle mehr zu spielen, wir fühlen uns lebendig und richtig und unsere Außengrenzen scheinen zu verschwinden. Es sind magische Momente.
Was macht diese Momente so besonders?
Es ist die Art und Weise, wie wir dann mit der Welt um uns herum in Beziehung treten, wie wir berühren und vor allem: wie wir uns berühren lassen – und das meine ich nicht nur im körperlichen Sinn. Mit manchen Menschen können wir Gespräche führen, über die wir die Zeit vergessen. Wir erzählen, hören zu, greifen auf, denken weiter … Wir werfen uns den „Gesprächsball“ hin und her. In solchen Gesprächen schwingen wir mit dem Gesprächspartner mit, wir sind in Resonanz. Doch wir schwingen keineswegs identisch. Es ist nicht so, dass einer dem anderen nachplappert. Vielmehr bezieht jeder sich auf den anderen und spricht dennoch mit eigener Stimme. Solche Momente beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa als „Resonanzmomente„, die unser Leben lebenswert machen: „Ein gelingendes Leben ist ein Leben, das in Resonanzbeziehungen gelebt wird.“
Als Soziologe schaut Rosa wie aus der Vogelperspektive auf die Gesellschaft und beschreibt ihren gegenwärtigen Zustand. Und als kritischer Soziologe versucht er auch Antworten auf Krisen der Gesellschaft zu finden. Seine Antwort ist Resonanz. Er meint damit eine Weltbeziehung, die nach mehr Qualität statt mehr Quantität strebt, nach Verbindung und Kontakt. Eine Beziehung, in der die Welt uns antwortet.
Schon Babys sind darauf aus, Antwort zu bekommen. Deutlich zu sehen in den so genannten „still face“-Experimenten: Dabei sind die Mutter und ihr kleines Baby im Kontakt miteinander. Auf ein Zeichen des Versuchsleiters hin friert das Gesicht der Mutter ein: Sie schaut zwar ihr Kind nich an, ihre Mimik bleibt jedoch starr. Das Baby wirkt verwirrt und versucht nun mit all seinen Möglichkeiten, in Kontakt zu seiner Mutter zu kommen, Antwort von ihr zu erhalten. Es dauert nur sehr kurze Zeit, bis es fast rasend wird, sich abwendet, weint und aus der Situation flüchten will.
Das zeigt: In Kontakt sein, Antwort von der Welt zu erhalten, ist ein Grundbegehren. Und eine Grundangst ist es, keine Antwort zu erhalten, einer stummen Welt gegenüber zu stehen.
Fragt man Menschen, was die beglückendsten Momente im vergangenen Jahr waren, sind es nicht das neu gekaufte elektronische Gadget und auch nicht die Gehaltserhöhung, sondern sehr häufig solche Resonanzmomente. Und die müssen nicht unbedingt mit anderen Menschen stattfinden: Resonanzmomente können auch passieren beim Betrachten eines Bildes, in der Stille der Natur oder beim Besuch eines Konzertes.
Wohlgemerkt: sie können, doch sie müssen nicht! Sie sind nicht planbar, sie sind nicht vorhersagbar; Resonanzmomente widerfahren uns. Auch wenn kommerzielle Werbung häufig mit diesen Resonanzmomenten spielt und uns glauben machen will, dass wir mit dem Kauf genau dieser Limonade oder beim Buchen dieser bestimmten Reise diese Resonanz garantiert erleben werden. Es wird eher nicht passieren.
Zwar können wir resonante Beziehungen nicht herstellen, doch wir können ihnen den Weg bereiten. Beispielsweise in dem wir mit uns selbst in gutem Kontakt sind (meine Hamburger Freunde von neun.de beschreiben das schön am Beispiel der Atmung). Weil Resonanz eine leibliche Erfahrung ist, tut es sicherlich auch gut, sich zu bewegen und den Körper zu spüren. Nicht nur beim Sport, sondern immer wieder zwischendurch. Und sinnvoll ist es auch, resonanzfeindliche Situationen zu meiden. Situationen also, in denen unsere Umwelt uns nicht antwortet, sie starr wird und sich nicht von uns berühren lässt.